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Familie haben, selbstbestimmt leben und arbeiten, geht das zusammen?

Thementage “Raus aus dem Mama-Spagat!”

Leben und arbeiten, das wollten mein Partner und ich verbinden – nicht trennen von unserem übrigen Leben.

Und so entstand das, womit wir unser Geld verdienen, aus unseren Leidenschaften und Interessen. Doch nicht mit allem hatten wir sofort Erfolg. Mit manchen Projekten scheiterten wir und es gab zwischendurch Phasen, die uns an unsere Grenzen brachten. Das gehört dazu, denn wir lernten daraus und verloren trotzdem nicht unseren Weg aus den Augen: Als Familie selbstbestimmt zu arbeiten und davon leben zu können. Wir sind eine Familie mit 4 Kindern im Alter zwischen 6 und 27 Jahren. Seit über 30 Jahren bin ich mit Marko, meinem Mann schon zusammen. Ich ging noch zur Schule, als wir uns kennenlernten. Er war kurz zuvor nach Berlin gezogen und wohnte in einem ehemals besetzten Haus in Berlin-Kreuzberg. Unser Lebensstil war schon immer recht öko-freakig-wild und das Geld, was wir zum Leben brauchten, verdienten wir zunächst mit den unterschiedlichsten Jobs. Mein Studium nach dem Abitur hatte ich nur halbherzig verfolgt, weil ich schnell merkte, dass der Uni-Betrieb mich persönlich nicht weiterbrachte. Ich wollte mich mit Dingen beschäftigen, die mich interessierten, ohne dabei viele Dinge einpauken zu müssen, die ich dann nicht mehr brauchte. Deswegen hörte ich nach einem Jahr auf zu studieren und brachte mir das Wissen, was mir wichtig war, im Selbststudium bei.

“Wie – ein Kurs, um ein Baby zu tragen?”

Schon vor der Geburt meines ersten Kindes 1992 faszinierte mich das Tragen von Babys und ließ mich dann lange nicht mehr los. Ich sammelte alle Informationen, die ich zu dem Thema bekommen konnte, ebenso wie die damals bekannten Tragetechniken. 1995, kurz nach der Geburt meines zweiten Kindes, gründete ich mit Karin Meyer-Harms die erste mir bekannte deutsche Trageschule. Wir zeigten jungen Eltern in einem Kurs, wie sie ihr Baby sicher ins Tuch binden konnten, vor dem Bauch und auf dem Rücken. Das war damals etwas ganz Neues und löste ebensoviel Neugier wie Abwehr aus.

„Wie, ein Kurs, um zu lernen, wie man trägt? Wozu denn das?“

Ich lernte durch meine Arbeit viele Eltern kennen, die so wie wir das lebten, was heute unter Attachment Parentig  bekannt ist. Mit einigen anderen Eltern gründete ich den Verein „Die Trageschule – für eine gewaltfreie Kindesbegleitung von Geburt an.  Wir  organisierten 1997 die Ausstellung „Ins Leben tragen“  in Berlin-Neukölln, die sehr gut angenommen wurde. Mit einer Freundin  gab ich ab 1998 die Zeitschrift „Kindheit in Bewegung“ heraus. Das war eine spannende aufregende Zeit, in der wir spürten, dass wir was ins Rollen brachten. Zeitgleich nahm ich an einer Weiterbildung zur Geburtsvorbereiterin teil.

So lebte ich eine Weile auf der Überholspur, doch meine Unerfahrenheit in geschäftlichen Angelegenheiten forderte seinen Tribut.

Mit all den Projekten hatte ich mich leider völlig übernommen, besonders finanziell mit den Druckkosten der Zeitschrift. Ich fühlte mich ausgebrannt und kraftlos, stellte die Zeitschrift aus finanziellen Gründen wieder ein und nahm eine Zeitlang Abstand zu meinen Projekten. Ich wollte herauszufinden, was ich wirklich will und vor allem, wie ich finanziell sicher dastehen kann.

Denn der finanzielle Druck belastete mich und ich merkte, wie ich es brauchte, mir nicht jeden Tag neu Sorgen um das Geld machen zu müssen. Mein Mann unterstützte mich in der Zeit sehr und gab mir den Raum, wieder zu mir selbst zu kommen. Das war so wichtig für mich, diese Leere zwischendrin, ohne neues Projekt, auszuhalten. Ich nahm Abschied von meinem geliebten Projekt, auch wenn es erst mal ein Abschied auf Zeit war und wusste noch nicht, was kommt.

Aber wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere…

So entstand allmählich eine neue Idee, wie wir als Familie Geld verdienen konnten.

Mein Mann arbeitete schon immer gerne alte Fahrräder auf und verkaufte sie, wenn sie wieder hergerichtet waren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Fahrrad-Einzelhandelskaufmann und dachte über ein eigenes Geschäft nach. Ich hatte mich durch die Arbeit an der Zeitschrift intensiv mit Computern beschäftigt und hatte so einige alte Laptops von uns, die voller Fehlermeldungen waren, so hergerichtet, dass sie wieder richtig liefen. Die verkauften wir dann privat und sahen, dass es ebenfalls einen Markt für gebrauchte, generalüberholte Laptops gab. Mein Bruder Martin hatte sich vor ein paar Jahren mit einem Kunsthandel selbstständig gemacht und so saßen wir oft abends zusammen und besprachen Geschäftsideen. Daraus entstand das „Mobilcenter – gebrauchte Fahrräder und Notebooks“, den Marko in Berlin-Kreuzberg im Herbst 1998 eröffnete. Also alles, was man so braucht für das moderne, mobile Leben. Der Laden war im selben Haus, in dem auch meine Eltern wohnten. Das war sehr praktisch und wurde von meinen Kindern sehr begrüßt, die besonders ihre Oma innig liebten.

Ich arbeite in der Zeit als freie Mitarbeiterin in der Firma meines Bruders, überarbeitete aber nach wie vor die Laptops für das Mobilcenter. Im Laufe der nächsten Jahre konzentrierten wir uns allerdings auf Fahrräder, weil es da die größte Nachfrage gab und die Laptops verschwanden aus unserem Konzept. Fahrräder, das merkten wir außerdem, ist das, woran unser Herz hängt. Marko war nun von 10 bis 18 Uhr im Laden und ich holte die Kinder mittags vom Kinderladen ab. Für Marko war diese Lösung recht unbefriedigend, auch wenn die Arbeit im eigenen Laden ihm Spaß machte. Er wollte mehr mit Zeit mit seinen Kindern und mit seiner Musik verbringen. Also unterstützte ich ihn an 2 Tagen im Laden und reduzierte die Arbeit bei meinem Bruder. Der Spagat zwischen 2 Jobs und Familienleben war allerdings nicht einfach und so entschied ich mich, die Arbeit bei meinem Bruder zu beenden. Wir teilten uns die Arbeit im Geschäft. Einer konnte bei den Kindern sein, während der andere im Geschäft war. Hört sich super an, doch wir merkten, dass unsere Partnerschaft darunter litt, dass wir kaum noch Zeit miteinander verbrachten.

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So hatten wir uns dass nicht vorgestellt.

Klar, das Geschäft war in der Nähe und im Sommer saßen wir alle zusammen nach dem Laden in der Pizzeria nebenan. Eigentlich ging es uns materiell gut. Das Geld reichte gut für uns vier. Aber irgendwas fehlte eben.

Meine Schulfreundin Andrea, auch Mutter von 4 Kindern, sagte mal: „Wir sind eben auch anders als unsere Mütter. Geld verdienen reicht nicht. Wir wollen soviel vom Leben außer Geld verdienen.“ Ja, das war’s. Es ging nicht nur ums Geld verdienen, auch wenn die Arbeit Spaß machte. Wir wollten Zeit für uns, unsere Kinder und Freunde und die vielen Interessen, die wir sonst noch hatten: Theaterspielen, Musikmachen, Sport, Schreiben usw. Die klassischen Arbeitszeiten, ob mit 40-Stunden-Woche oder üblichen Öffnungszeiten bieten wenig Raum für die persönliche Entfaltung als Familie.

Um morgens Zeit füreinander zu haben, legten wir die Öffnungszeiten von 10 auf 11 Uhr. Wir merkten, dass wir dadurch keine spürbaren finanziellen Einbußen hatten. Super. Doch wir trauten uns in den ersten Jahren noch nicht, die Öffnungszeiten weiter einzuschränken.

Im Frühling und Sommer war bei uns Hauptsaison, aber im Winter war es sehr ruhig. Doch gerade der ruhige Winter zerrte an unseren Kräften, weil es kalt im Geschäft war und wir unsere Zeit lieber anders verbracht hätten als im Laden zu stehen, wenn kaum Kunden kommen. Darf man das als Ladenbesitzer? Aufmachen, wann wir wollten – ohne sich an die unausgesprochenen Regeln für Ladenbesitzer zu halten, die besagen: 6 Tage die Woche mindestens von 10 bis 18 Uhr? Warum nicht? Es ist ja schließlich unser Geschäft. Nach mehreren Jahren Fahrradladen beschlossen wir also, im Winter den Laden für mehrere Wochen zu schließen. Wir informierten vorher unsere Kunden und probierten es aus. Das fühlte sich gut an. Wir fingen an, im Winter mit unseren Kindern zu reisen, in Skigebiete und auch in den Süden. Wie wunderbar, den Winter so zu verbringen. Im Frühling, wenn die Saison losging, waren wir nun viel ausgeruhter und hatten Lust auf die Arbeit im Laden.

Inzwischen haben wir eine ca 6 – 10-wöchigen Winterschließzeit, je nach Witterungsbedingungen.

Vor ca. 10 Jahren öffneten wir im Frühjahr erstmals erst um 14 Uhr. Es war am Ende des Winters noch wenig los. Und wir entdeckten wieder, dass es reicht. Die Kunden passten sich an unsere Öffnungszeiten an. Oder sie blieben weg. Natürlich gab es auch ein paar Kunden, die wegblieben, weil sie mit den Öffnungszeiten nicht zufrieden waren. Sie beschwerten sich, dass wir ja „nie“ auf hätten. „Kein Problem“, dachten wir, „wir müssen nicht alle glücklich machen. Wir wollen die Kunden glücklich machen, die gerne zu uns kommen.“ Und vor allem wollen wir uns als Familie glücklich machen! Wir nehmen uns mittlerweile die Freiheit, die Öffnungszeiten an unsere Bedürfnisse als Familie anzupassen. Denn das Geschäft soll unserem Leben dienen und so gestalten wir es. Wir sind vermutlich der Fahrradladen in Berlin mit den kürzesten Öffnungszeiten.

Unser Geschäft ist eine Art Beweis für das Pareto-Prinzip, das besagt, dass du in 20% deiner Zeit 80% des Ergebnisses erwirtschaftest und für die übrigen 20% Ergebnis brauchst du 80% deiner Zeit.

Wir wollten nur noch 80%  Ergebnis und hatten dafür mehr Zeit.

Und entgegen dem, was viele andere vermuten; es reichte für uns zum Leben. Denn dadurch sind wir in der übrigen Zeit so energiegeladen und gut gelaunt in unserem Laden, dass sich an manchen Tagen unser Verkauf wie eine Party anfühlt. Wir machen Scherze mit den Kunden und gehen eine persönliche Beziehung mit ihnen ein. Wir reden nicht nur über Fahrräder, auch über alles, was zum Leben gehört. Das fühlt sich total gut an, zumal wir in Berlin-Kreuzberg ziemlich interessante Kunden haben. Wir verkaufen unsere Fahrräder mit Liebe und Freude, dass dann auch das Geld stimmt, ist der angenehme Nebeneffekt.

Vor einigen Jahren hat sich unser Geschäft erweitert. Marko bekam mit, dass der Flughafen Tempelhof geschlossen werden soll. Stattdessen sollte dort ein Park entstehen. Für eine Übergangszeit, bis klar sein würde, was mit dem  Gelände geschieht, konnten sich Projekte als Pioniere bewerben.

„Wie geil,“ sagte er zu mir, „das ist perfekt dort mit den Landebahnen für einen GoKart-Verleih. Ich werde mich dort als Pionier bewerben.“ Wir hatten bereits in Kreuzberg GoKarts vermietet, was die Kinder liebten. Leider verbot uns das Ordnungsamt es, die Fahrzeuge vor unserem Geschäft abzustellen und belegte das mit hohen Ordnungsstrafen. So dekorierten lange Jahre die Fahrzeuge die Wände unseres Geschäfts statt herumzufahren.

Tatsächlich bekam Marko 2012 die Genehmigung als einer der ersten Pioniere, dort eine Fahrrad- und GoKart-Verleihstation aufzubauen. Er war sofort Feuer und Flamme. Das riesige Gelände faszinierte ihn, die Freiheit und Weite mitten in der Großstadt. Und so baute er neben dem Fahrradladen unsere Fahrrad- und GoKart-Verleihstation auf. In dem Jahr wurde auch unser viertes Kind geboren und unsere beiden Ältesten standen kurz vor dem Abitur. Das war doch ziemlich heftig, Marko hatte durch den Aufbau der Station wenig Zeit, ich hatte zu Hause ein Baby und ein Kleinkind und zwei Großkinder im Abi-Streß. Doch als dann alles eingespielt war, die Station lief, die Großen ihr Abi hatten und wir wieder mehr Zeit, entspannte es sich wieder.

Das Leben ist Veränderung

Meine große Tochter arbeitet auch manchmal im Fahrradladen und mein großer Sohn auf der Vermietstation mit und ermöglicht uns damit, auch mal während der Saison wegfahren zu können.

Ganz sicher wird unsere berufliche Situation in fünf Jahren wieder eine andere sein als heute. Leben ist Entwicklung, ständig. Manches, was wir ausprobiert hatten, funktionierte so gut für uns, dass wir es beibehalten haben.

Manches ändern wir, wenn es nicht mehr passt. Gerade befinden wir uns wieder in einer Umbruch- und Umorientierungsphase. Ich bin dabei, mir eine Online-Selbstständigkeit aufzubauen und auch mein Mann entwickelt wieder neue Ideen.

Wir sind sehr glücklich, dass wir als Partner diesen Weg zusammen gehen. Wir haben viele unserer Ideen gemeinsam entwickelt, uns unterstützt, auch mal genervt und gestritten, aber haben immer wieder den Weg zueinander gefunden.

Und das Wichtigste überhaupt: Wir haben uns zusammen weiterentwickelt. Wir waren und sind der Spiegel für den anderen. Wie oft hat nicht der andere den einen Gedanken hineingebracht, den es brauchte. Und trotz aller gemeinsamer Projekte sind wir auch zwei ziemlich individuelle Querköpfe, denen Freiheit sehr wichtig ist. Bei der Arbeit, in der Familie, in der Partnerschaft und im Leben überhaupt. Denn eine der wichtigsten Erkenntnisse war für uns: Wir sind frei zu tun, was wir wollen, wenn wir arbeiten. Niemand kann uns zu etwas zwingen. Es ist alles unsere eigene Entscheidung.

Ich habe vor über zwei Jahren mein vielgeliebtes Projekt im Internet wiederauferstehen lassen: Die Kindheit in Bewegung  gibt es nun als Online-Magazin. Seitdem hat sich viel getan und entwickelt und ich befinde mich auf einem aufregenden neuen Weg. Aber davon erzähle ich bald mehr.

Wie war euer Familienberufsleben?  Welche Entwicklungen und Umbrüche habt ihr als Familie erlebt? Und vor allem, welche Erfolge konntet ihr feiern?

Der Artikel erschien in leicht anderer Form zuerst auf der Website Heart-Family.

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Dagmar

Dagmar Gericke von der Feeling Family®: Eltern-Coach, Theaterpädagogin, Kommunikationstrainerin und Mama von 4 Kindern. "Kinder zu bekommen ist nur der Anfang des Elternseins. Die wirkliche Aufgabe liegt daran, uns unser Leben mit unseren Kindern so zu gestalten, dass sich alle in der Familie angenommen und geliebt fühlen. Und das schließt uns selbst mit ein." Willst du mehr über mich wissen? Dann schaue hier: https://feelingfamily.com/about/