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“Wie heißt das Zauberwort?” Was ist eigentlich Höflichkeit?

Magische Worte

Mein sechsjähriger Sohn hat eine fünfjährige Freundin, die uns letztens besuchte. Es war warm, also saßen wir beim Abendesssen auf der Terrasse. Taran, mein Sohn, war schon satt, während seine Freundin Wanda noch aß. Er nahm eine Schnur, stellte sich auf seinen Stuhl, spannte die Schnur mit den Händen und verkündete: „Wanda, ich zeige Dir jetzt einen Zaubertrick. Sag mal das Zauberwort.“ Wie aus der Pistole geschossen antwortete Wanda: „Bitte.“ Taran stöhnte und sagte streng: „ Wanda, das ZAUBERWORT!“ „Abrakadabra?“ fragte Wanda unsicher. Die Eltern fanden die Geschichte gar nicht komisch, als ich sie abends erzählte. Eigentlich ist es auch wirklich nicht komisch, wie Kinder konditioniert werden, so dass sie selbst im Spiel ihre Konditionierung nicht vergessen. „Wie heißt das Zauberwort?“ ist ja so ein Lieblingsspruch von Eltern, die ihren Kindern Höflichkeit beibringen wollen. Aus Angst, ihre Kinder könnten anecken, wenn sie die vorherrschenden Regeln der Höflichkeit nicht begriffen haben.

Müssen Hexen sich bedanken?

Vor kurzem war Halloween. Unsere Siedlung hier ist sehr beliebt bei den Kindern aus der gesamten Nachbarschaft und so klingelt es oft. Die ersten kleinen Monster und Hexen kamen in Begleitung ihrer Eltern, die, nachdem sich die Kinder aus meiner Schüssel mit Leckereien bedient hatten, ihnen zuzischten: „Sagt danke.“ „Danke,“ flüsterten die kleinen Hexen artig.

Wenn Danke noch ein Spiel ist

Eines der ersten Worte von Kleinkindern ist danke. Sie lieben es, beim Spiel und kleinen Handreichungen „dadde“ zu sagen, hören sie es doch so oft von den Erwachsenen. Die Eltern freuen sich, dass ihr Kind von sich aus danke sagt. Höflichkeit ist eins der Ziele vieler Eltern. Doch nach einiger Zeit ist es vorbei mit dem „dadde“. Die Kinder wollen etwas, und zwar ganz dringend. Jetzt. Sofort. Für bitte und danke ist ihren Kopf kein Platz mehr und dann setzt der Wunsch vieler Eltern ein, da Kind zur Höflichkeit erziehen zu wollen. Es ist ihnen peinlich, wenn ihr Kind einfach seinen Wunsch rausschreit: „Ich will, ich will, ich will,…“ Kann dieses Kind denn nicht einfach mal bitte sagen? Also schnell einen Spruch aufsagen, der sich  so nett anhört: „Wie heißt das Zauberwort?“ Schön brav sagen die Kinder nun „bitte“, denn sonst bekommen sie das Gewünschte nicht. Bis zum nächsten: „Ich will, ….“

 Was ist Dir wichtig?

Ist es Dir auch wichtig, dass dein Kind bitte und danke sagt? Wenn Du selber dieses Verhalten zeigst, wird es das übernehmen und Du musst kaum etwas dafür tun. Kinder lernen am stärksten durch Nachahmung. Das, was Du tust und machst, beobachtet dein Kind und als soziales Wesen wird es sich viele deiner Verhaltensweisen aneignen, auch wenn es eine Weile dauert. Deswegen ist es sinnvoll, erst mal das eigene Verhalten zu hinterfragen. Warum bedanke ich mich eigentlich? Nur aus Gewohnheit, aus Angst, negativ aufzufallen, wenn ich den Konventionen nicht genüge oder weil ich die Absicht eines Menschen wahrnehme und ihm zeigen will, dass ich seine Absicht wertschätze? Wenn ich mir über meine eigenen Beweggründe klarer geworden bin, kann ich sie auch meinem Kind erklären. Indem ich mich bedanke, erkenne ich an, was ein anderer Mensch für mich getan oder mir gegeben hat. Das muß aber nicht zwangsläufig durch das Wort „Danke“ geschehen. Für mich geht es letztendlich um wahrgenommen werden, gesehen werden, Wertschätzung, manchmal in der Kurzform mit „Danke“, manchmal beschreibe ich aber ganz genau, was mir an dem gefällt, was jemand für mich getan hat. Und das sind die Momente, in denen ich das Herz des Gegenübers berühre kann.
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Dank ausdrücken geht auch anders

Kinder beobachten genau, was ich sage und wie ich handle. Mein Siebenjähriger sagt manchmal, wenn ich etwas gekocht habe, was ihm besonders gut schmeckt: „ Mmh, das ist einfach köstlich, das könntest Du jeden Tag kochen.“ Für mich drückt er seine Dankbarkeit so viel besser aus als mit einem kurzen danke. Fahren wir mit dem Rad auf dem Bürgersteig, wenn ich ihn begleite, bedanke ich mich bei den Fußgängern, die für uns zur Seite treten und warten, bis wir vorbeigefahren sind. Ich habe meinem Sohn erklärt, dass ich es nett finde, wenn sie uns Platz machen und ich es ihnen mit einem „Danke“ zeige. Ich habe ihn nie aufgefordert, es mir gleichzutun, aber immer öfter höre ich, wie er sich bei Fußgängern bedankt, die ihm Platz machen. Höflichkeit ist bei den meisten Menschen ein fester Wert. „Mein Kind soll ein höflicher Mensch werden.“ Das ist ein Ziel von vielen Eltern.

Höflichkeit dient auch zur Festigung von Hierarchien

Bei dem, was wir unter Höflichkeit verstehen, geht es bestenfalls um Wahrnehmung und Achtung anderer Menschen, aber oft geht es auch auch um Hierarchien. Es gibt Höflichkeitsregeln, die dienen vor allem dazu, eine bestimmte Hierarchie zu festigen wie zum Beispiel die Tradition, dass ältere Menschen von Jüngeren gesiezt werden. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war es in vielen bürgerlichen Familien sogar üblich, dass Kinder ihre Eltern siezen mussten. Auch bei der Begrüßung hatte ein Kind strenge Regeln zu befolgen. Mein Vater, der wesentlich älter als meine Mutter war und aus gutbürgerlichen Kreisen kam, hatte erwartet, dass meine Brüder bei der Begrüßung von Erwachsenen einen Diener machten. Ich als Mädchen sollte einen Knicks machen. Ich erinnere mich, wie unangenehm das für uns Kinder waren. Wir führten uns vorgeführt. Diener und Knicks kennt heute zum Glück kaum noch jemand und es erscheint uns sehr unterwürfig, was von den Kindern damals erwartet wurde. Das, was Menschen unter Höflichkeit verstehen, ist ständig in Bewegung. Nur dadurch, dass Normen hinterfragt werden, können wir uns von ihnen frei machen und unseren eigenen Weg gehen. Manche Menschen sind so gefangen in einem Gerüst an Höflichkeit, dass sie sich selbst dabei verleugnen und ihre Bedürfnisse nicht wahrnehmen.

Immer schön in der Norm bleiben?

Warum aber ist es Eltern so wichtig, dass Kinder sich an die Normen halten? Wie geht es Dir damit, wenn Dein Kind sich nicht bedankt oder noch im Grundschulalter ältere Menschen siezt? Wie stehst Du überhaupt dem Siezen gegenüber? Bleibst Du gelassen und lässt deinen Kind seinen eigenen Weg finden oder ist es Dir unangenehm? Befürchtest Du, dass andere Leute negativ über Dich denken könnten, wenn dein Kind sich nicht bedankt? Ist es Dir wichtig, als Person wahrgenommen, die ihre Kinder gut „erzieht“? Wie sind deine eigenen Erfahrungen mit den Höflichkeitsregeln, die Du als Kind lernen solltest? Wo haben sie Dir geholfen und wann haben sie Dich gehemmt? Wenn Dir deine eigene Haltung dazu bewusst wird, dann kannst Du dich leichter von den Erwartungen anderer frei machen und Dich selbst entscheiden, welche Regeln Du als sinnvoll annimmst und welche Du auf die Müllhalde deiner Geschichte wirfst. Was also kann an Stelle von antrainierter Höflichkeit treten, um in einen guten Kontakt mit anderen Menschen zu kommen?

Wahrnehmung:

An erster Stelle steht für mich die Wahrnehmung des anderen Menschen, seiner Handlung und seiner (guten) Absicht und meiner eigene Haltung dazu.

Einfühlung:

Wie geht es dem anderen Menschen gerade, aber auch, wie fühle ich mich dabei?

Wertschätzung:

Durch meine Worte und Taten drücke ich meine Wertschätzung gegenüber dem anderen Menschen aus. Das hört sich komplizierter an, als es ist, denn wenn ein wertschätzender emphatischer Umgang mit anderen Menschen für Dich normal geworden ist, passieren diese Schritte in Sekundenschnelle. Und so kann ich meinem Kind erklären, was Menschen brauchen, wenn sie Höflichkeit erwarten. Ich lasse mein Kind selber entscheiden, wie es sich dann verhält. Kinder wollen nicht zu Handlungen gedrängt werden, sondern aus sich heraus handeln.

Kinder können Emphatie

Ein schönes Beispiel von der Empathiefähigkeit von Kindern davon hatte mir mal meine Schwiegermutter erzählt. Sie musste als achtjähriges Mädchen mit ihrer Mutter im Winter durch die Frontlinie aus Ostpreußen fliehen. Die permanente Bedrohung der eigenen Existenz war für sie als Kind ein traumatisches Erlebnis, was sie zu einem ängstlichen Menschen gemacht hat. Sie war sich dessen bewusst, konnte auch als Erwachsene sich nicht von ihren Ängsten befreien. Unsere Kinder wussten von dieser Ängstlichkeit, denn wir hatten mit ihnen darüber geredet. Einmal besuchte mein ältester Sohn im Alter von 10 Jahren für einige Tage seine Oma, die in einem kleinen Dorf wohnte. Etwas außerhalb des Dorfes floss die Saale entlang. Durch ein Wehr wurde die Saale angestaut, so dass sich vor dem Wehr ein See bildete. Die Kinder des Dorfes liebten es, auf der Wehrmauer entlang zu balancieren und von den Bäumen am Rande des kleinen Stausees ins Wasser zu springen. So auch mein Sohn, wenn wir mit dabei waren. Als er aber mit seiner Oma alleine dort war, die Blut und Wasser schwitzte, dass er auf der Wehrmauer ausrutschen, sich den Kopf anschlagen und ertrinken könnte, sagte er zu ihr: „ Oma, Du brauchst Dir jetzt keine Sorgen machen. Ich weiß, dass Du seit dem Krieg ganz ängstlich bist und dass Du befürchtest, mir könnte was passieren. Ich gehe da heute nicht rüber, auch wenn ich weiß, dass mir nichts passieren würde.“ Sie hatte ihn vorher nicht gebeten, auf das Balancieren zu verzichten, aber er hatte ihre Nöte verspürt und von sich aus darauf verzichtet, damit sie den Tag mit ihm genießen konnte. Sie war sehr berührt davon und beide hatten noch einen schönen Tag. Mein Sohn, der weiß, dass wir ihm zutrauen, auf sich selbst aufzupassen, konnte aus freien Willen sich entscheiden, für jemanden anderes auf etwas zu verzichten.

Emphatie und Wertschätzung anstelle von Konditionierung

Emphatie und Wertschätzung sind so viel wichtiger als antrainierte Höflichkeit, denn mit ihnen wird ein Mensch mit seinem ganzen Wesen wahrgenommen. Indem ich meinen Kindern emphatisch begegnen, erfahren sie es und können sich selbst, je älter sie werden, immer besser in andere Menschen einfühlen. Wenn das, was wir unseren Kindern vorleben, für sie erstrebenswert erscheint, dann werden sie das meiste davon übernehmen. Deswegen ist das Allerwichtigste mein eigenes Verhalten, nicht das meines Kindes. Mein Kind findet seinen eigenen Weg. Das, was es von mir dafür braucht, ist in erster Linie Vertrauen. Dann kann das Gerüst von antrainierter Höflichkeit durch echte Wertschätzung ersetzt werden und wir brauchen keine „Zauberworte“ mehr. Wie ist euer Umgang mit Höflichkeit? Müssen eure Kinder sich immer bedanken? Oder lasst ihr sie ihren Weg finden und nehmt in Kauf, dass es manchmal bei anderen Menschen dann nicht so gut ankommt? Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen. MerkenMerken

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Dagmar

Dagmar Gericke von der Feeling Family®: Ich bin Mutter von vier Kindern im Alter zwischen 9 und 30 Jahren. Außerdem bin ich Kommunikationstrainerin, Theaterpädagogin und Elternbloggerin. Ich bin davon überzeugt, dass wir, indem wir uns selbst und unsere Familien heilen, auch unsere tief zerstrittene Welt heilen. Der Wandel beginnt immer bei uns selbst. Willst du mehr über mich wissen? Dann schaue hier: https://feelingfamily.com/about/